Studie: Vergabepraxis in österreichischen Gemeinden Mehrheit zufrieden, aber Verbesserungspotenzial vorhanden Eine Studie unter Entscheider:innen auf Gemeindeebene zeigt: Für 89 % der Befragten funktioniert das Beschaffungswesen in ihren Gemeinden gut. Sorgen bereiten allerdings knappe Kassen, durch die Investitionen in wichtigen Bereichen auf der Strecke bleiben. Im Dezember sorgte ein Prüfbericht des EU-Rechnungshofs für Schlagzeilen im österreichischen Beschaffungswesen. Die auf Vergaberecht spezialisierte Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte veröffentlicht nun ein Studiengutachten, das die Vergabepraxis auf Gemeinde-Ebene beleuchtet und auf Interviews von 210 Entscheider:innen beruht. Denn: „Auch, wenn die EU-Perspektive interessant ist, beschäftigen uns hierzulande in der Vergabepraxis vor allem die kleinteiligen, typisch österreichischen Strukturen und Gepflogenheiten“, sagt Vergaberechtsexperte und Kanzlei-Partner Martin Schiefer. 2024: Österreichische Gemeinden schnallen den Gürtel enger Das von Pitters Trendexpert durchgeführte und von Schiefer Rechtsanwälte GmbH in Auftrag gegebene Studiengutachten zeichnet grundsätzlich ein optimistisches Bild: 89 % der Befragten geben an, dass sie mit dem Beschaffungswesen in ihrer Gemeinde zufrieden sind. Bei Beschaffungsprozessen vordergründig im Fokus: Der Faktor Geld. Für 85 % ist der Kostenfaktor bei der Auswahl eines Anbieters entscheidend. „Es regiert noch immer das Billigstbieterprinzip“, interpretiert Schiefer das Ergebnis. Der Grund dafür kommt nicht von ungefähr: Die finanzielle Situation der Gemeinden ist angespannt. Mehr als die Hälfte (51 %) beurteilt sie als (eher) schlecht und geht sogar von einer Verschlechterung aus. Aufgrund dessen bleiben wichtige Beschaffungen in den Gemeinden unerledigt – so unter anderem im Gesundheits- und Pflegebereich: Fast zwei Drittel der befragten Bürgermeister:innen und Amtsleiter:innen geben an, dass im Umkreis ihrer Gemeinde mehr Primärversorgungszentren benötigt würden. Im kommenden Jahr plant aber lediglich ein Drittel Investitionen in diesem Bereich. Was für fast alle Gemeinden 2024 fix am Plan steht, sind Ausgaben für die allgemeine Infrastruktur – ganze 96 % wollen diese tätigen. Ebenso wird in österreichischen Gemeinden in den kommenden Monaten Geld für Erneuerungen in den Bereichen IT und Kommunikation (58 %) sowie Elektromobilität (39 %) in die Hand genommen. Großes Augenmerk auf Transparenz und Rechtssicherheit Entgegen dem Tenor des EU-Prüfberichts, der deutliche Transparenz-Defizite im österreichischen Vergabewesen ortet, stellen sich die befragten Entscheider:innen auf Gemeindeebene selbst ein positives Zeugnis aus: 78 % legen auf das Thema Rechtssicherheit großen Wert. 67 % erachten dabei die Einbindung externer Vergabexpert:innen und -kanzleien als wichtig – bei ausschreibungspflichtigen Vergaben über 100.000 Euro werden diese in der Praxis sogar von mehr als 80 % der Entscheider:innen vollständig oder zum Teil hinzugezogen. In Sachen Transparenz schätzen sich 24 % und 53 % der Befragten verglichen mit anderen Gemeinden als „deutlich vorbildlicher“ oder „vorbildlicher“ ein. Neben der Einbindung externer Expert:innen sind laut den Umfrage-Teilnehmer:innen vor allem die Veröffentlichung aller entstandener Kosten und standardisierte Beschaffungsprozesse Garanten für Transparenz. Letztere bringen aber nicht nur Freud, sondern auch Leid: „Nicht nur der EU-Rechnungshof-Bericht ortet, dass ein Zuviel an Bürokratie den Wettbewerb tötet. Auch auf Gemeindeebene wünschen sich fast alle Befragten eine Vereinfachung der rechtlichen Rahmenbedingungen bei Beschaffungsprozessen“, erläutert Vergaberechtsexperte Schiefer. Ein Ergebnis, das ihn allerdings positiv stimme: Regionalität und lokale Wertschöpfung liegen bei drei Viertel der Befragten im Trend. „Eine schöne Entwicklung, die allerdings im Widerspruch mit dem stark forcierten Billigstbieter-Prinzip steht. Wenn wir Regionalität und Nachhaltigkeit durch öffentliche Vergaben wirklich fördern wollen, brauchen wir einen neuen Kriterienkatalog bei Beschaffungsprozessen – und Entscheider:innen auf Gemeindeebene, die von der Rolle der Pfennigfuchser:innen in die der aktiven Zukunftsgestalter:innen schlüpfen.“ Über die Studie Das Studiengutachten wurde von Pitters Trendexpert im Auftrag von Schiefer Rechtsanwälte GmbH im Zeitraum Juli – August 2023 durchgeführt. Insgesamt wurden 210 Interviews mit Entscheidungsträger:innen in österreichischen Gemeinden zum Themenkomplex „Trends im Beschaffungswesen in Österreichs Gemeinden“ geführt.